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Richtlinie über den vorübergehenden Schutz bleibt in Kraft

Am 10. Oktober 2022 gibt die Kommissarin für Inneres, Ylva Johansson, im Zuge einer Pressekonferenz bekannt, dass die Richtlinie über den vorübergehenden Schutz bis mindestens März 2024 in Kraft bleiben wird. Gemäß der Richtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Schutzberechtigten nach ihrer Aktivierung einen (mindestens) ein Jahr gültigen Aufenthaltstitel ausstellen. Dessen Gültigkeit verlängert sich automatisch um (mindestens) zweimal sechs Monate, falls kein anderslautender Beschluss des Rates ergeht. Dies wurde Johannson nun ausgeschlossen. Für eine darüber hinausgehende Verlängerung, also über März 2024 hinaus, ist ein erneuter Beschluss des Rates erforderlich, mit dem der Schutzstatus um maximal ein weiteres Jahr verlängert werden kann.

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Wissenschaftlerin zu Flucht und Rückkehr

Die Humangeographin Birgit Glorius hat dem NDR ein hörenswertes Interview zu den Fluchtbewegungen aus der Ukraine und der Rückkehr ukrainischer Geflüchteter gegeben. In diesem weist Glorius auf einige interessante Aspekte hin:

  • Die Statistik der Ein- und Ausreisen über die Grenzübergänge sagt nichts über die Motivation hinter der grenzüberschreitenden Mobilität aus. Mit anderen Worten: Menschen, die die Grenze zur Ukraine überqueren, müssen nicht zwangsläufig Geflüchtete oder Rückkehrer*innen sein.
  • Es ist anzunehmen, dass sich im Falle einer Rückkehr oder Weiterreise tendenziell nur wenige Ukrainer*innen bei den zuständigen Behörden im Aufnahmestaat deregistrieren. Dies wiederum bedeutet, dass Zahlen hinsichtlich der aufgenommen Ukrainer*innen mit Vorsicht zu interpretieren sind und tendenziell eher zu hoch sind.
  • Die Motivlagen für eine Rückkehr in die Ukraine sind vielfältig. Bisher ist es kaum möglich, fundierte Aussagen darüber zu treffen, aus welchen Gründen genau Ukrainer*innen zurückkehren.
  • Es gibt jedoch Hinweise darauf, dass der Beginn des neuen Schuljahres eine wichtige Rolle für eine Rückkehrentscheidung spielt.
  • Weiterhin ist davon auszugehen, dass militärische Erfolge der ukrainischen Armee die Bereitschaft zur Rückkehr ebenfalls steigern.
  • Sollte es einen Appell der ukrainischen Regierung zur Rückkehr geben (was gegenwärtig allerdings nicht absehbar ist) würde dies wohl ebenfalls viele Menschen zur Rückkehr veranlassen.
  • In diesem Kontext gibt Glorius auch den interessanten Hinweis, dass die ukrainische Kultusministerin von Beginn an an die Aufnahmestaaten appelliert hat, ukrainischen Kindern die Teilnahme am digitalen Homeschooling aus der Ukraine zu ermöglichen.
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EU

Zuerkennung temporären Schutzes in einem weiteren Staat unproblematisch

In dem Durchführungsbeschluss des Rates der Europäischen Union vom 4. März 2022 zur Anwendung der Richtlinie zum vorübergehenden Schutz wird explizit darauf hingewiesen, dass Artikel 11 der Richtlinie keine Anwendung findet. Dieser verpflichtet die Mitgliedstaaten eigentlich zur Rücknahme von Personen, denen sie Schutz nach der Richtlinie gewährt haben und die sich anschließend unrechtmäßig im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhalten.

Es stellte sich jedoch die Frage, ob dies mit dem Recht auf eine erneute Schutzgewährung nach der Richtlinie unter Gewährung aller damit verbundenen Rechte selbst in dem Fall gleichzusetzen ist, wenn ein anderer Mitgliedstaat zuvor bereits temporären Schutz gewährt hat. Zweifel daran ergaben sich insbesondere aus folgender Formulierung, die sich im Durchführungsbeschluss des Rates der Europäischen Union direkt im Anschluss an den Hinweis auf die Nichtanwendung von Artikel 11 findet:

Sobald ein Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel nach der Richtlinie 2001/55/EG erteilt hat, hat die Person, die vorübergehenden Schutz genießt, zwar das Recht, 90 Tage innerhalb eines Zeitraums von 180 Tagen in der Union zu reisen, sollte aber die Rechte, die sich aus dem vorübergehenden Schutz ergeben, nur in dem Mitgliedstaat geltend machen können, der den Aufenthaltstitel erteilt hat. Dies sollte einem Mitgliedstaat nicht die Möglichkeit nehmen zu beschließen, Personen, die nach diesem Beschluss vorübergehenden Schutz genießen, jederzeit einen Aufenthaltstitel zu erteilen.

Erwägungsgrund (16) des Durchführungsbeschlusses

Mittlerweile ist jedoch zumindest in Deutschland geklärt, dass eine vorangegangene Schutzgewährung gemäß der Richtlinie in einem anderen Mitgliedstaat keine Auswirkungen auf die erneute Gewährung von temporärem Schutz und der damit verbunden Rechte hat. Dies ergibt sich aus den Anwendungshinweisen des BMI zum Umgang mit Treffermeldungen in der Europäischen Registrierungsplattform vom 8. August 2022. Wörtlich heißt es dort:

Im ersten Fall (Beantragung von vorübergehendem Schutz in der Bundesrepublik bei bestehendem vorübergehenden Schutz in einem anderen Mitgliedstaat) ist der schutzbegehrenden Person, bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen, eine Aufenthaltserlaubnis nach § 24 AufenthG in Deutschland zu erteilen. Der Mitgliedstaat des Fortzugs wird durch die Plattform automatisch über die Registrierung in Deutschland informiert.

Anwendungshinweise des BMI vom 8. August 2022

Auch eine Vertreterin der Europäischen Kommission hob am 8. September 2022 bei einer Veranstaltung in Brüssel hervor, dass die Europäische Registierungsplattform insbesondere der Vermeidung der gleichzeitigen Gewährung von temporärem Schutz in mehreren Mitgliedstaaten dienen würde. Wenn eine Person erneut temporären Schutz in einem anderen Mitgliedstaat beantragt, würde der Staat, der den Schutz zuvor gewährt hat über die Plattform lediglich informiert und könne anschließend eine „Deregistrierung“ vornehmen.

Entgegen der ursprünglichen Befürchtungen steht eine vorangegangene Gewährung temporären Schutzes in einem Mitgliedstaat der erneuten Schutzgewährung nach der Richtlinie und der Zuerkennung aller damit verbunden Rechte also nicht entgegen. Es wird abzuwarten bleiben, ob dies auch in Praxis immer reibungslos umgesetzt wird.

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EU

FAST-CARE-Verordnung kurz vor der Verabschiedung

Der Ausschuss für regionale Entwicklung des Europäischen Parlaments hat sich für ein vereinfachtes Verfahren ohne Änderungsanträge entschieden, um die vorgeschlagene FAST-CARE-Verordnung schnell zu verabschieden.

Der Vorschlag der Europäischen Kommission, dem der Rat der Europäischen Union bereits zugestimmt hat, sieht u.a. vor, dass die Mitgliedstaaten eine „Kopfpauschale“ von bis zu 2.600 Euro für jeden aufgenommen Geflüchteten aus der Ukraine geltend machen können.

Weiterhin sieht der Vorschlag eine zusätzliche Vorfinanzierung für die Mitgliedstaaten in Höhe von 3,5 Milliarden Euro vor, die 2022 und 2023 ausgezahlt werden soll. Zudem sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass mindestens 30 Prozent der ausgezahlten Mittel lokalen Behörden und NGOs zu Gute kommen, auch bereits abgeschlossene Projekte bezuschusst werden können und Projekte zur sozioökonomischen Integration mit bis zu 100 Prozent der Kosten bezuschusst werden können.

Die Zustimmung des Europäischen Parlaments, die für die erste Oktoberwoche ansteht, dürfte nunmehr reine Formsache sein.

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EU

EU-Mittel zur Unterstützung der ukrainischen Geflüchteten

Bereits am 8. April 2022 trat eine weitreichende Verordnung („CARE I-Verordnung“) zur finanziellen Unterstützung der Mitgliedstaaten in Hinblick auf Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten in Kraft. Die Verordnung war vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union auf Vorschlag der EU-Kommission im Eiltempo erlassen worden.

Durch die Verordnung werden keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt, sondern in verschiedenen EU-Förderprogrammen bereits zur Verfügung gestellte Gelder umgewidmet und leichter zugänglich gemacht.

Mit der „CARE I-Verordnung“ werden insgesamt 17 Milliarden Euro für die Unterstützung von Geflüchteten aus der Ukraine bereitgestellt.

Nicht einmal eine Woche nach Verabschiedung der „CARE-I-Verordnung“ trat am 13. April 2022 eine ergänzende Verordnung in Kraft („CARE II-Verordnung“). Diese hat insbesondere zwei Ziele:

Zum einen sollte eine schnelle Auszahlung eines Teils der unter der „CARE I-Verordnung“ zur Verfügung gestellten Mittel im Rahmen einer Vorfinanzierung gewährleistet werden. Möglich wurde dies dadurch, dass die Vorfinanzierungsrate für das Jahr 2021 aus dem „REACT-EU“-Programm – das ursprünglich eingeführt wurde um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Covid19-Pandemie abzufedern – für alle Mitgliedstaaten von 11 auf 15 Prozent erhöht wird. Zudem sieht die Verordnung vor, dass diese Quote für Mitgliedstaaten, in denen „sich der Zustrom von Personen aus der Ukraine zwischen dem 24. Februar 2022 und dem März 2022 auf mehr als 1 % der jeweiligen Bevölkerung des Landes belief“ sogar auf 45 Prozent erhöht wird.

Dieser Mechanismus führte dazu, dass bereits im April insgesamt 3,5 Milliarden Euro zusätzlich an die Mitgliedstaaten ausgezahlt wurden, ohne dass diese zuvor spezifische Programme zur Versorgung und Integration der ukrainischen Geflüchteten entwickeln mussten.

Aufgrund der im Verglich zur Bevölkerungszahl relativ hohen Zahl der Ankünfte von geflüchteten Ukrainer*innen profitierten neben den Anrainerstaaten der Ukraine (Polen: 562 Millionen Euro, Rumänien: 450 Millionen Euro, Ungarn: 300 Millionen Euro, Slowakei: 209 Millionen Euro) auch Tschechien (284 Millionen Euro), Bulgarien (148 Millionen Euro), Litauen (93 Millionen Euro), Estland (60 Millionen Euro) und Österreich (74 Millionen Euro) von der Auszahlung der deutlich erhöhten Vorfinanzierung. Im Vergleich dazu muten die beispielsweise an Deutschland ausgezahlten Mittel mit 75 Millionen Euro relativ gering an.

Zum anderen wurde mit der „CARE-2-Verordung“ ein Mechanismus eingeführt, der die Abrechnung der zur Verfügung gestellten Mittel erheblich vereinfachen soll. Wörtlich heißt es in der Verordnung:

Für die Durchführung von Vorhaben zur Bewältigung der Migrationsherausforderungen infolge der militärischen Aggression der Russischen Föderation können die Mitgliedstaaten in die in Zahlungsanträgen geltend gemachten Ausgaben Einheitskosten für die grundlegenden Bedürfnisse und die Unterstützung von Personen aufnehmen, denen vorübergehender Schutz oder ein anderer angemessener Schutz nach nationalem Recht gemäß dem Durchführungs­beschluss (EU) 2022/382 des Rates und der Richtlinie 2001/55/EG des Rates gewährt wurde. Diese Einheitskosten betragen 40 EUR pro voller bzw. angefangener Woche, in der sich eine Person in einem Mitgliedstaat aufhält. Die Einheitskosten können für insgesamt höchstens 13 Wochen ab dem Tag der Ankunft der Person in der Union angewandt werden.

Neu eingeführter Artikel 68c

Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten für jede Person, der sie einen Status nach der sogenannten „Massenzustromrichtlinie“ zugesprochen haben, für bis zu 13 Wochen eine „Kopfpauschale“ in Höhe von 40 Euro bei der EU geltend machen können – insgesamt also bis zu 520 Euro pro Person.

Laut einem am 29. Juni 2022 von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag („FAST-CARE“) soll dieser Satz auf 100 Euro pro Woche erhöht werden, die für bis zu 26 Wochen ausgezahlt werden sollen. Damit würde sich die „Kopfpauschale“ auf bis zu 2.600 Euro pro Person erhöhen.

Weiterhin sieht der Vorschlag eine zusätzliche Vorfinanzierung für die Mitgliedstaaten in Höhe von 3,5 Milliarden Euro vor, die 2022 und 2023 ausgezahlt werden soll. Zudem sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass mindestens 30 Prozent der ausgezahlten Mittel lokalen Behörden und NGOs zu Gute kommen, auch bereits abgeschlossene Projekte bezuschusst werden können und Projekte zur sozioökonomischen Integration mit bis zu 100 Prozent der Kosten bezuschusst werden können.

Der Rat der Europäischen Union hat dem Vorschlag der EU-Kommission bereits vollumfänglich zugestimmt. Die Zustimmung des Europäischen Parlamentes steht jedoch noch aus. Es wird erwartet, dass dieses seinen Standpunkt im Herbst festlegt.

Grundsätzlich ist die schnelle und pragmatische Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Aufnahme und Integration der ukrainischen Geflüchteten sicherlich zu begrüßen. Es wird jedoch abzuwarten bleiben, ob die Mittel tatsächlich bei denen ankommen, für die sie gedacht sind. Eine gewisse Skepsis ist allein schon aufgrund der Erfahrungen aus Griechenland angebracht, wo die Situation der Geflüchteten seit Jahren gleichbleibend schlecht ist – trotz der erheblichen EU-Mittel, die an das Land geflossen sind.

Als problematisch könnte sich erweisen, dass die eingeführten „Kopfpauschalen“ die Mitgliedstaaten dazu verleiten, die Ausgaben für die ukrainischen Geflüchteten möglichst gering zu halten um so die eigenen Kosten zu senken oder sogar einen Überschuss zu erwirtschaften. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sehr viele Geflüchtete aus der Ukraine nur wenig oder keine Unterstützung in Anspruch nehmen, da sie Unterkunft und Nahrung selbst finanzieren. Darüber hinaus hat sich in der Praxis mittlerweile gezeigt, dass viele ukrainische Geflüchtete in andere EU-Staaten weiterreisen oder in die Ukraine zurückkehren, ohne sich bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates „abzumelden“. Zu erwarten ist daher, dass „Kopfpauschalen“ auch für Zeiträume geltend gemacht werden, in denen sich die betreffenden Personen überhaupt nicht mehr im Land befunden haben.

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EU

Zum Besuch von Ylva Johansson in der Ukraine

Anfang dieser Woche besuchte Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Inneres, die Ukraine. Ziel ihres Besuchs war es laut Pressemitteilung, gemeinsam mit den ukrainischen Behörden die Bedürfnisse der Kriegsflüchtlinge und insbesondere der schulpflichtigen Kinder zu evaluieren, die sich in der EU aufhalten oder bereits in die Ukraine zurückkehrt sind. Bisher haben in der EU rund 3,9 Millionen Ukrainer*innen temporären Schutz gemäß der Richtlinie zum vorübergehenden Schutz (sog. „Massenzustromrichtlinie“) beantragt. Wie es in der Pressemitteilung weiterhin heißt, wurden bisher etwa eine halbe Million ukrainische Kinder in den Schulsystemen der EU-Mitgliedstaaten registriert.

Während einer Pressekonferenz in Kiew verwies Johansson darauf, dass sie bei ihrer Einreise in die Ukraine mit dem Zug am polnisch-ukrainischen Grenzbahnhof viele Rückkehrer*innen gesehen habe, was sie ausdrücklich begrüße. In diesem Zusammenhang versicherte Johannson, dass Rückkehrer*innen jederzeit erneut in die EU kommen könnten. Nachdrücklich bat sie allerdings darum, dass sich Rückkehrer*innen im Falle einer dauerhaften Rückkehr in die Ukraine bei den zuständigen Behörden abmelden. Bei nur kurzzeitigen Reisen in die Ukraine sei dies nicht notwendig.

Dass dieser Aspekt von Johannson in der Ukraine ausdrücklich hervorgehoben wurde dürfte seinen Grund vor allem darin haben, dass sich momentan nur grob schätzen lässt, wie viele ukrainische Kriegsflüchtlinge sich tatsächlich (noch) in der EU aufhalten beziehungsweise in welchem Mitgliedstaat sie sich befinden.

Die Gesamtzahl der Ausreisen aus der Ukraine in die angrenzenden EU-Staaten seit Kriegsbeginn (ca. 8 Millionen) ist in diesem Zusammenhang wenig aussagekräftig. Denn dieser Zahl stehen nicht nur die Einreisen in die Ukraine aus der EU gegenüber (ca. 4 Millionen; allerdings ohne die Ausreisen aus Ungarn, da hier keine Daten verfügbar sind), sondern es muss auch berücksichtigt werden, dass viele Ukrainer*innen in den vergangenen Monaten – aus den verschiedensten Gründen – mehrfach ein- und ausgereist sind. Zudem ist zu bedenken, dass sich Mehrfachregistrierungen auch dadurch ergeben können, dass eine Person beispielsweise zunächst in den Nicht-EU-Staat Moldau und anschließend in den EU-Staat Rumänien und von dort weiter in den EU- und Schengenstaat Ungarn reist, wobei an jeder Grenze eine Passkontrolle durchgeführt wird.

Insofern ist die Gesamtzahl derjenigen, die temporären Schutz beantragt haben, tatsächlich derjenige Wert, der am geeignetsten erscheint, um Aussagen über Ausmaß und Verteilung der Fluchtbewegungen aus der Ukraine in die EU-Mitgliedstaaten zu treffen und der auch maßgeblich für die Verteilung von EU-Geldern sein dürfte. Dieser Wert ist jedoch natürlich nur dann valide, wenn Personen, die dauerhaft zurückkehren, wie von Johannson gefordert, ihren Schutz tatsächlich „zurückgeben“.

Ein weitere Variable, die aus Sicht der Kommission diesbezüglich zu berücksichtigen sein wird, ist die der mehrfachen Beantragung des temporären Schutzes in verschiedenen Mitgliedstaaten. Dafür mag es aus Sicht der Betroffenen durchaus gute Gründe geben. Zu nennen wäre beispielsweise die Situation, dass eine Person zunächst in einem Nachbarstaat der Ukraine temporären Schutz beantragt hat, weil sie davon ausging, bald zurückkehren zu können und dann feststellte, dass eine baldige Rückkehr doch nicht möglich ist und die längerfristigen Lebensperspektiven in einem EU-Staat bessere sind, etwa weil sich dort bereits Verwandte oder Freunde aufhalten.

Eine europaweite Datenbank zum Abgleich derjenigen Personen, die temporären Schutz erhalten haben, nahm am 31. Mai ihren Betrieb auf und wird nun „sukzessive durch die Mitgliedstaaten befüllt“.

Informationen zur Funktionalität dieser Datenbank und insbesondere dahingehend, wie viele Personen in mehr als einem Mitgliedstaat temporären Schutz beantragt haben, sind bisher nicht verfügbar.

Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass insbesondere aus den beiden zuvor genannten Gründen – also die dauerhafte Rückkehr in die Ukraine und die Möglichkeit der Mehrfachantragstellung in verschiedenen EU-Staaten – die tatsächliche Zahl der ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die sich aktuell in der EU aufhalten, tatsächlich weitaus geringer ist, als die anfänglich erwähnten 3,9 Millionen.

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Europaweites Register zum vorübergehenden Schutz

Die EU-Richtlinie zum vorübergehenden Schutz (sogenannte „Massenzustromrichtlinie“) sieht unter Artikel 10 vor, dass die Mitgliedstaaten ein Register über die Personen erstellen, denen sie vorübergehenden Schutz gemäß der Richtlinie gewährt haben. Ende März schlug die EU-Kommission vor, eine europaweite Datenbank zum Austausch dieser Daten einzurichten.

Wie sich einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken entnehmen lässt, nahm diese Datenbank („TDP-Plattform“) am 31. Mai ihren Betrieb auf und wird nun „sukzessive durch die Mitgliedstaaten befüllt“.

In Deutschland ist die Rechtsgrundlage hierfür § 91a AufenthG, der vorsieht, dass bereits Antragsteller*innen in einem vom BAMF geführten Register erfasst werden. Zum 1. Juni wurde § 91a Abs. 5 dahingehend ergänzt, dass die Daten nunmehr auch mit den Mitgliedstaaten der EU und der EU-Kommission geteilt werden dürfen.

Gespeist wird der deutsche Datensatz gegenwärtig aus dem Ausländerzentralregister (AZR). Geplant ist, dass FREE, eine neu eingeführte webbasierte Anwendung zur Verteilung der ukrainischen Geflüchteten innerhalb Deutschlands, zeitnah auch die Funktion der Registerführung übernimmt.

Relevant ist der europaweite Datenaustausch in Hinblick auf die Geflüchteten aus der Ukraine vor allem deswegen, da

[b]ei Vorliegen der Voraussetzungen […] ein entsprechender Auf- enthaltstitel zu erteilen [ist], auch wenn der Betroffene bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen entsprechenden Aufenthaltstitel erhalten hat. Die sich aus dem vorübergehenden Schutz ergebenden Rechte können jedoch nur in jeweils einem Mitgliedstaat geltend gemacht werden.

Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken

Mit der Einführung der Registrierungsplattform soll also insbesondere vermieden werden, dass Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine gleichzeitig in mehreren Staaten Leistungen beziehen.

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EU

Anträge auf vorübergehenden Schutz

Laut Daten des UNHCR haben bis zum 21. Juni 2022 insgesamt knapp über 3.5 Millionen Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine einen Antrag auf Gewährung vorübergehenden Schutzes im Ausland gestellt.

Die meisten Anträge verzeichnen Polen (etwa 1.2 Millionen) und Deutschland (etwa 780.000). In der Slowakei wurden etwa 80.000, in Rumänien etwa 40.000 und in Ungarn etwa 25.000 Anträge gestellt.

Aus mehreren Gründen sind diese Zahlen jedoch mit Vorsicht zu interpretieren:

1. Es ist davon auszugehen, dass viele eigentlich antragsberechtigte Personen bisher keinen Antrag gestellt haben, etwa aufgrund bürokratischer Hindernisse, mangelnder Information über die Option einer Antragstellung oder weil sie von der Möglichkeit einer baldigen Rückkehr in die Ukraine ausgehen.

2. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass viele Menschen, die einen Antrag gestellt haben, zwischenzeitlich in sichere Gebiete in der Ukraine zurückgekehrt sind.

3. Überdies ist zu bedenken, dass die Möglichkeit einer mehrfachen Antragstellung in verschiedenen Staaten besteht.

4. In Nicht-EU Staaten existiert kein Schutzstatus gemäß der „Massenzustromrichtlinie“. So etwa in Moldau, wo nur die Möglichkeit einer Asylantragstellung besteht.

Vor diesem Hintergrund geben die genannten Zahlen zwar einerseits wichtige Hinweise darauf, in welchen Staaten sich aktuell wie viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine aufhalten. Andererseits sollten die Antragszahlen nicht ohne weiteres mit den Personen gleichgesetzt werden, die sich tatsächlich im jeweiligen Land befinden. Es ist davon auszugehen, dass hier in der Realität erhebliche Differenzen auszumachen sind.

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Auswirkungen des Ukraine-Krieges auf Dublin-Überstellungen

Laut asyl.net lehnen einige osteuropäische Staaten (u.a. Polen und die Slowakei) die (Rück-)Übernahme von Personen, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens überstellt werden sollen, aufgrund der großen Zahl ukrainischer Geflüchteter gegenwärtig grundsätzlich ab.

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Vorschlag zur Ausweitung von Eurodac

Statewatch berichtet, dass die französische Ratspräsidentschaft Anfang Mai einen Vorstoß im Ministerrat der EU unternommen hat, zukünftig auch Geflüchtete, die einen Aufenthaltstitel gemäß der „Massenzustrom-Richtlinie“ erhalten haben, in der europaweiten Eurodac-Datenbank zu registrieren.

Der Durchführungsbeschluss des Rates der Europäischen Union zur Aktivierung der „Massenzustrom-Richtlinie“ vom 4. März 2022 sieht explizit vor, dass diejenigen Staaten, die einen Schutzstatus gemäß der Richtlinie erteilt haben, von der Pflicht zur Rückübernahme befreit sind (Erwägungsgrund 15). Jedoch sollen die sich aus der Gewährung des Schutzes ergebenden Rechte nur in jeweils einem Staat geltend gemacht werden können (Erwägungsgrund 16).

Der Vorstoß der französischen Regierung muss als Versuch gewertet werden, die bisher de facto geltende freie Wahl des Aufnahmestaates durch die ukrainischen Geflüchteten zu beschränken. Denn bisher sind die EU-Staaten faktisch nicht in der Lage, in Erfahrung zu bringen, ob Antragsteller*innen bereits in einem andern EU-Staat einen Aufenthaltstitel gemäß der Richtlinie zugesprochen bekommen haben.

Ob sich der französische Vorschlag durchsetzen wird, wird abzuwarten bleiben.