Bereits am 8. April 2022 trat eine weitreichende Verordnung („CARE I-Verordnung“) zur finanziellen Unterstützung der Mitgliedstaaten in Hinblick auf Aufnahme von ukrainischen Geflüchteten in Kraft. Die Verordnung war vom Europäischen Parlament und dem Rat der Europäischen Union auf Vorschlag der EU-Kommission im Eiltempo erlassen worden.
Durch die Verordnung werden keine zusätzlichen Mittel zur Verfügung gestellt, sondern in verschiedenen EU-Förderprogrammen bereits zur Verfügung gestellte Gelder umgewidmet und leichter zugänglich gemacht.
Mit der „CARE I-Verordnung“ werden insgesamt 17 Milliarden Euro für die Unterstützung von Geflüchteten aus der Ukraine bereitgestellt.
Nicht einmal eine Woche nach Verabschiedung der „CARE-I-Verordnung“ trat am 13. April 2022 eine ergänzende Verordnung in Kraft („CARE II-Verordnung“). Diese hat insbesondere zwei Ziele:
Zum einen sollte eine schnelle Auszahlung eines Teils der unter der „CARE I-Verordnung“ zur Verfügung gestellten Mittel im Rahmen einer Vorfinanzierung gewährleistet werden. Möglich wurde dies dadurch, dass die Vorfinanzierungsrate für das Jahr 2021 aus dem „REACT-EU“-Programm – das ursprünglich eingeführt wurde um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Covid19-Pandemie abzufedern – für alle Mitgliedstaaten von 11 auf 15 Prozent erhöht wird. Zudem sieht die Verordnung vor, dass diese Quote für Mitgliedstaaten, in denen „sich der Zustrom von Personen aus der Ukraine zwischen dem 24. Februar 2022 und dem März 2022 auf mehr als 1 % der jeweiligen Bevölkerung des Landes belief“ sogar auf 45 Prozent erhöht wird.
Dieser Mechanismus führte dazu, dass bereits im April insgesamt 3,5 Milliarden Euro zusätzlich an die Mitgliedstaaten ausgezahlt wurden, ohne dass diese zuvor spezifische Programme zur Versorgung und Integration der ukrainischen Geflüchteten entwickeln mussten.
Aufgrund der im Verglich zur Bevölkerungszahl relativ hohen Zahl der Ankünfte von geflüchteten Ukrainer*innen profitierten neben den Anrainerstaaten der Ukraine (Polen: 562 Millionen Euro, Rumänien: 450 Millionen Euro, Ungarn: 300 Millionen Euro, Slowakei: 209 Millionen Euro) auch Tschechien (284 Millionen Euro), Bulgarien (148 Millionen Euro), Litauen (93 Millionen Euro), Estland (60 Millionen Euro) und Österreich (74 Millionen Euro) von der Auszahlung der deutlich erhöhten Vorfinanzierung. Im Vergleich dazu muten die beispielsweise an Deutschland ausgezahlten Mittel mit 75 Millionen Euro relativ gering an.
Zum anderen wurde mit der „CARE-2-Verordung“ ein Mechanismus eingeführt, der die Abrechnung der zur Verfügung gestellten Mittel erheblich vereinfachen soll. Wörtlich heißt es in der Verordnung:
Für die Durchführung von Vorhaben zur Bewältigung der Migrationsherausforderungen infolge der militärischen Aggression der Russischen Föderation können die Mitgliedstaaten in die in Zahlungsanträgen geltend gemachten Ausgaben Einheitskosten für die grundlegenden Bedürfnisse und die Unterstützung von Personen aufnehmen, denen vorübergehender Schutz oder ein anderer angemessener Schutz nach nationalem Recht gemäß dem Durchführungsbeschluss (EU) 2022/382 des Rates und der Richtlinie 2001/55/EG des Rates gewährt wurde. Diese Einheitskosten betragen 40 EUR pro voller bzw. angefangener Woche, in der sich eine Person in einem Mitgliedstaat aufhält. Die Einheitskosten können für insgesamt höchstens 13 Wochen ab dem Tag der Ankunft der Person in der Union angewandt werden.
Neu eingeführter Artikel 68c
Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten für jede Person, der sie einen Status nach der sogenannten „Massenzustromrichtlinie“ zugesprochen haben, für bis zu 13 Wochen eine „Kopfpauschale“ in Höhe von 40 Euro bei der EU geltend machen können – insgesamt also bis zu 520 Euro pro Person.
Laut einem am 29. Juni 2022 von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag („FAST-CARE“) soll dieser Satz auf 100 Euro pro Woche erhöht werden, die für bis zu 26 Wochen ausgezahlt werden sollen. Damit würde sich die „Kopfpauschale“ auf bis zu 2.600 Euro pro Person erhöhen.
Weiterhin sieht der Vorschlag eine zusätzliche Vorfinanzierung für die Mitgliedstaaten in Höhe von 3,5 Milliarden Euro vor, die 2022 und 2023 ausgezahlt werden soll. Zudem sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass mindestens 30 Prozent der ausgezahlten Mittel lokalen Behörden und NGOs zu Gute kommen, auch bereits abgeschlossene Projekte bezuschusst werden können und Projekte zur sozioökonomischen Integration mit bis zu 100 Prozent der Kosten bezuschusst werden können.
Der Rat der Europäischen Union hat dem Vorschlag der EU-Kommission bereits vollumfänglich zugestimmt. Die Zustimmung des Europäischen Parlamentes steht jedoch noch aus. Es wird erwartet, dass dieses seinen Standpunkt im Herbst festlegt.
Grundsätzlich ist die schnelle und pragmatische Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Aufnahme und Integration der ukrainischen Geflüchteten sicherlich zu begrüßen. Es wird jedoch abzuwarten bleiben, ob die Mittel tatsächlich bei denen ankommen, für die sie gedacht sind. Eine gewisse Skepsis ist allein schon aufgrund der Erfahrungen aus Griechenland angebracht, wo die Situation der Geflüchteten seit Jahren gleichbleibend schlecht ist – trotz der erheblichen EU-Mittel, die an das Land geflossen sind.
Als problematisch könnte sich erweisen, dass die eingeführten „Kopfpauschalen“ die Mitgliedstaaten dazu verleiten, die Ausgaben für die ukrainischen Geflüchteten möglichst gering zu halten um so die eigenen Kosten zu senken oder sogar einen Überschuss zu erwirtschaften. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass sehr viele Geflüchtete aus der Ukraine nur wenig oder keine Unterstützung in Anspruch nehmen, da sie Unterkunft und Nahrung selbst finanzieren. Darüber hinaus hat sich in der Praxis mittlerweile gezeigt, dass viele ukrainische Geflüchtete in andere EU-Staaten weiterreisen oder in die Ukraine zurückkehren, ohne sich bei den zuständigen Behörden des Mitgliedstaates „abzumelden“. Zu erwarten ist daher, dass „Kopfpauschalen“ auch für Zeiträume geltend gemacht werden, in denen sich die betreffenden Personen überhaupt nicht mehr im Land befunden haben.