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Zum Besuch von Ylva Johansson in der Ukraine

Anfang dieser Woche besuchte Ylva Johansson, EU-Kommissarin für Inneres, die Ukraine. Ziel ihres Besuchs war es laut Pressemitteilung, gemeinsam mit den ukrainischen Behörden die Bedürfnisse der Kriegsflüchtlinge und insbesondere der schulpflichtigen Kinder zu evaluieren, die sich in der EU aufhalten oder bereits in die Ukraine zurückkehrt sind. Bisher haben in der EU rund 3,9 Millionen Ukrainer*innen temporären Schutz gemäß der Richtlinie zum vorübergehenden Schutz (sog. „Massenzustromrichtlinie“) beantragt. Wie es in der Pressemitteilung weiterhin heißt, wurden bisher etwa eine halbe Million ukrainische Kinder in den Schulsystemen der EU-Mitgliedstaaten registriert.

Während einer Pressekonferenz in Kiew verwies Johansson darauf, dass sie bei ihrer Einreise in die Ukraine mit dem Zug am polnisch-ukrainischen Grenzbahnhof viele Rückkehrer*innen gesehen habe, was sie ausdrücklich begrüße. In diesem Zusammenhang versicherte Johannson, dass Rückkehrer*innen jederzeit erneut in die EU kommen könnten. Nachdrücklich bat sie allerdings darum, dass sich Rückkehrer*innen im Falle einer dauerhaften Rückkehr in die Ukraine bei den zuständigen Behörden abmelden. Bei nur kurzzeitigen Reisen in die Ukraine sei dies nicht notwendig.

Dass dieser Aspekt von Johannson in der Ukraine ausdrücklich hervorgehoben wurde dürfte seinen Grund vor allem darin haben, dass sich momentan nur grob schätzen lässt, wie viele ukrainische Kriegsflüchtlinge sich tatsächlich (noch) in der EU aufhalten beziehungsweise in welchem Mitgliedstaat sie sich befinden.

Die Gesamtzahl der Ausreisen aus der Ukraine in die angrenzenden EU-Staaten seit Kriegsbeginn (ca. 8 Millionen) ist in diesem Zusammenhang wenig aussagekräftig. Denn dieser Zahl stehen nicht nur die Einreisen in die Ukraine aus der EU gegenüber (ca. 4 Millionen; allerdings ohne die Ausreisen aus Ungarn, da hier keine Daten verfügbar sind), sondern es muss auch berücksichtigt werden, dass viele Ukrainer*innen in den vergangenen Monaten – aus den verschiedensten Gründen – mehrfach ein- und ausgereist sind. Zudem ist zu bedenken, dass sich Mehrfachregistrierungen auch dadurch ergeben können, dass eine Person beispielsweise zunächst in den Nicht-EU-Staat Moldau und anschließend in den EU-Staat Rumänien und von dort weiter in den EU- und Schengenstaat Ungarn reist, wobei an jeder Grenze eine Passkontrolle durchgeführt wird.

Insofern ist die Gesamtzahl derjenigen, die temporären Schutz beantragt haben, tatsächlich derjenige Wert, der am geeignetsten erscheint, um Aussagen über Ausmaß und Verteilung der Fluchtbewegungen aus der Ukraine in die EU-Mitgliedstaaten zu treffen und der auch maßgeblich für die Verteilung von EU-Geldern sein dürfte. Dieser Wert ist jedoch natürlich nur dann valide, wenn Personen, die dauerhaft zurückkehren, wie von Johannson gefordert, ihren Schutz tatsächlich „zurückgeben“.

Ein weitere Variable, die aus Sicht der Kommission diesbezüglich zu berücksichtigen sein wird, ist die der mehrfachen Beantragung des temporären Schutzes in verschiedenen Mitgliedstaaten. Dafür mag es aus Sicht der Betroffenen durchaus gute Gründe geben. Zu nennen wäre beispielsweise die Situation, dass eine Person zunächst in einem Nachbarstaat der Ukraine temporären Schutz beantragt hat, weil sie davon ausging, bald zurückkehren zu können und dann feststellte, dass eine baldige Rückkehr doch nicht möglich ist und die längerfristigen Lebensperspektiven in einem EU-Staat bessere sind, etwa weil sich dort bereits Verwandte oder Freunde aufhalten.

Eine europaweite Datenbank zum Abgleich derjenigen Personen, die temporären Schutz erhalten haben, nahm am 31. Mai ihren Betrieb auf und wird nun „sukzessive durch die Mitgliedstaaten befüllt“.

Informationen zur Funktionalität dieser Datenbank und insbesondere dahingehend, wie viele Personen in mehr als einem Mitgliedstaat temporären Schutz beantragt haben, sind bisher nicht verfügbar.

Zusammenfassend ist davon auszugehen, dass insbesondere aus den beiden zuvor genannten Gründen – also die dauerhafte Rückkehr in die Ukraine und die Möglichkeit der Mehrfachantragstellung in verschiedenen EU-Staaten – die tatsächliche Zahl der ukrainischen Kriegsflüchtlinge, die sich aktuell in der EU aufhalten, tatsächlich weitaus geringer ist, als die anfänglich erwähnten 3,9 Millionen.